25.03.–12.05.2023 | Viewer

Urs Amiet: Drusen, 2023

Die Camera Obscura ist das Werkzeug und der Ausgangspunkt im künstlerischen Schaffen von Urs Amiet. Er baut sich ein Modell des Viewers als Lochkamera. Das Licht flutet den mit Fotopapier ausgekleideten Innenraum und vergraut damit das Bild, das von zwei Seiten aufgenommen wird. In einer Versuchsreihe lotet der Künstler die Balance zwischen Abbild und Überblendung aus.
Die Abwicklungen erinnern an die geheimnisvollen Steine, die als Drusen bekannt sind: erst mit ihrem Aufbrechen kommen die «Kristalle» zum Vorschein.

 

 

Die Einführung an der Vernissage machte Kunsthistorikerin Anna Bürkli:

Drusen sind Steine, in deren Inneren Kristalle verborgen sind. Bricht der Stein in zwei Hälften kommt das glänzende Innere zum Vorschein und eröffnet damit eine neue Welt. Was sich auftut, sind neue Bildwelten, die aus dem Inneren herausleuchten.  Urs Amiet nähert sich dem Thema Viewer, dem temporären Ausstellungsraum des Kunstvereins, mit dem Prinzip der Camera Obscura an.

Wäre es denn naheliegend, das Objekt selber als Camera Obscura umzubauen?

Die Vorstellung, dass der skulpturale Ausstellungsraum selber Aufnahmen seiner Umgebung macht, diese sozusagen überwachen würde, treibt den Künstler um. Und so baut Urs Amiet ein Modell des Viewers, und stanzt dessen Abwicklung auf Fotopapier. Er baut das Modell des Viewers nach und erweitert den Denkraum, der sich ergibt, auf die Vervielfältigung der Abwicklung. Darauf legen sich Bilder im Prozess der Belichtung. Sie breiten sich auf dem limitierten Papier aus und bilden jeweils ein individuelles Abbild der Situation.

Für die Herstellung dieser Bilder benutzt der Künstler ein mattes Fotopapier. Auch die Umgebung ist artifiziell und als Bühnenbild angelegt. Urs Amiet erinnert sich an die Panoramafernrohre auf den Berggipfeln, wo die Bergketten begutachtet werden können. Es gibt keinen Aussichtspunkt ohne eine solche Einrichtung. Eine kollektive Erfahrung, allgemein bekannt, die der Künstler für seine Zwecke fruchtbar macht und uns in Erinnerung ruft.

Urs Amiet, der auch spielerisch mit seinen selbst auferlegten Aufgaben umzugehen vermag, startet eine Testreihe, in dem er Papierstreifen aus Fotopapier in der Form der Abwicklung des Viewers in das Modell hineinlegt und nach einer Belichtungszeit, die im Experiment herausgefunden wird, wieder daraus entfernt. Eine Testreihe heisst, es sind viele.

Die Papierstreifen, deren Abwicklung einen figurativen Eindruck erweckt, dass ich mich plötzlich an die Silhouette eines Vogels erinnert fühle, ein Schwarm steigt vor dem inneren Auge auf.

Und plötzlich kreisen die Bergdohlen, die sich in den Blick, der sich in die Ferne zu den Bergumrissen wendet, sich in diesen Fernblick drängen und diesen vielleicht sogar auf sich lenken. Der schweifende Blick, durch zwei Gucklöcher in die Ferne,  kreuzt sich mit dem Schwarm Bergdohlen im Flug.

Bergdohlen sind dem Künstler selber vertraut und bekannt, ja mit dem Erlebnis der Bergwelt und des Wanderns seit der Kindheit sogar untrennbar verbunden. Die Bergdohlen gelten allgemein als eher „freche“ Vögel, die sofort zur Stelle sind, wenn ein Picknick ausgepackt wird und damit auch ohne Scheu den Wander*innen begegnet. Sie fallen auf, mit gelben Schnäbeln und roten Beinen, mit schwarzem Gefieder.

Urs Amiet erweitert noch einmal seinen Denkraum, folgt den Rabenvögeln und bannt sie im Geist in eine Voliere, wo sie ihre Qualitäten als Kristalle ausspielen, und sich als Individuen zeigen können, deren einzelne Oberflächen jeweils anders gestaltet, ein anderes Abbild zeigen.

Der Viewer erhält damit eine Doppelfunktion, als Camera Obscura und als Vogelschlag, wie auch die Papierstreifen, sowohl empfangende Objekte, (sie empfangen das Bild), und damit sowohl Abbilder sind, als auch über ihren Umriss als Vogel zu erkennen sind.

Der Viewer ist hier Subjekt und Bildvermittler gleichermassen, die Abwicklungen beziehen sich 1:1 auf das vom Künstler gebaute Modell, das wiederum in einem Verhältnis zum Original steht, wir sehen also Abbilder des Mini-Viewers im Mutterviewer.

Die Präsentation der Fotopapierstreifen geschieht unweigerlich wieder im Schwarm, da die Papiere als Testreihe erkannt werden sollen. Wie Drusen, deren Funken und Glimmern aus dem Inneren heraus eine Bewegung suggerieren, ist auch der Vogelschwarm, von seiner bewegten Form zur Ruhe gekommen, um jederzeit aufzuwachen und zu fliegen. Davonzufliegen.

Ich kann mir nun vorstellen, dass die Streifen fliegen und sich um den Viewer einen Schwarm bildet, der sich schliesslich in seinem Schlag niederlässt und sich zur Nachtruhe begibt. Vom vermeintlichen Chaos zur Ordnung. Jeder an seinem Platz.

 

(Anna Bürkli, März 2023)

Amthausplatz, Solothurn

Viewer
Viewer | Amthausplatz
Dauer:
25.03.2023 bis 12.05.2023
Vernissage:
Fr, 24.03.2023, 18:30 Uhr